Die Traurigkeit

Emotionen in der TCM – Teil 5

Nach dem Sommer beginnt mit dem Übergang zur Wandlungsphase Metall der Herbst, wie der Frühling gezeichnet von Dynamik und Wandel. Der Herbst war im antiken China die Zeit der Gerichte und der Hinrichtungen. So wie ein Laubbaum im Herbst alles Überflüssige fallen lässt und mit der Reduktion auf das allein Notwenige neue Struktur und Klarheit gewinnt, so sollte sich auch die Gesellschaft im Herbst von allem Unguten trennen und zu größerer Klarheit und Gerechtigkeit finden. Was wir im Herbst in der belebten Natur beobachten können, ist eine Verlagerung der Ressourcen von außen nach innen und ein Prozess der Verdichtung: die Pflanze sammelt ihre Kräfte im Stamm, in den Wurzeln oder in den Samen, die Tiere speichern Kraft in Fettpolstern oder Futterreserven und ziehen sich in ihre Höhle oder ihren Bau zurück.

In der Theorie der Traditionellen Chinesischen Medizin entspricht die Wandlungsphase Metall den Funktionskreisen Lunge und Dickdarm und der Emotion der Trauer. Wie andere der fünf Grundemotionen ist auch der Begriff „Trauer“ stark negativ belastet und nicht sehr hilfreich dabei, die positiven emotionalen Aspekte dieser Wandlungsphase zu begreifen. Die emotionale Kraft des Funktionskreises Lunge liegt darin, eine Grenze zu ziehen, zwischen dem, was mich ausmacht, und dem, was Beiwerk ist. Es geht darum, erstens Klarheit zu erlangen und zweitens zu verabschieden, was nicht mehr gebraucht wird, es loszulassen. Die emotionale Fähigkeit der Lunge hat mit Ordnung zu tun, mit Aufräumen und mit einer Reduktion auf das Wesentliche. Ein bisschen spiegeln auch die Funktionen von Lunge und Dickdarm diesen Zusammenhang wieder, denn wer sich mit dem Loslassen und dem Hergeben schwer tut, hat öfters auch Schwierigkeiten mit der Ausatmung oder einem regelmäßigen Stuhlgang. Schwierigkeiten mit dem Loslassen können sich im Leben auch darin zeigen, dass man länger an Dingen oder Menschen hängt und länger in Situationen und Beziehungen verbleibt, als es gesund und gut wäre.

Wenn wir uns vom positiven zum übermäßigen und krankmachenden Aspekt bewegen, so nähern wir uns der Trauer. Trauer empfinden wir, wenn wir etwas hergeben oder verlieren, was Teil unseres Lebens war, woran wir hängen oder was wir lieben. Trauer bedeutet, etwas loslassen zu müssen, und dieses Loslassen zieht auf schmerzhafte Weise eine Grenze zwischen dem, was uns verloren geht und dem, was bleibt: uns selbst.  Wird die Trauer zu heftig oder dauert sie zu lange an, so schadet sie dem Funktionskreis Lunge, stört und vernichtet dessen Qi. Die Dynamik der Trauer führt dabei nach innen und unten, sie lähmt die Kraft des Qi und lässt es geradezu versickern. Wie auch die Freude wirkt die Trauer dabei direkt auf das Qi des oberen Erwärmers (also des Bereichs oberhalb des Zwerchfells), Sitz der beiden von Trauer und Freude betroffenen Funktionskreise Lunge und Herz. Freude und Trauer sind dabei gewissermaßen Antagonisten: erstere befreit das Qi und bewegt es nach außen, letztere bindet es und lässt es nach innen versiegen.  

Die Dynamik der Trauer spiegelt sich in der Körperhaltung des Trauernden: die Schultern sinken und fallen nach vorne, der Brustkorb fällt ein, der Kopf sinkt. Schon alleine durch diese Haltung ergibt sich eine Schwächung des Lungen-Qi, die Atmung wird oberflächlicher, die Stimme schwächer und durch wiederholtes Seufzen versucht man die Beklemmung im Brustbereich zu überwinden. Dauert die Trauer über zu lange Zeit unverändert stark an, so ergibt sich daraus leicht eine anhaltende Schwächung des Funktionskreises Lunge mit einer Zunahme der Infektanfälligkeit, Erkrankungen wie Bronchitis, Lungenentzündung, Asthma oder anderen Atembeschwerden. Andererseits lässt sich bei Lungenkranken (wie auch bei Menschen mit einem schwachen Herz-Qi) besonders häufig eine melancholische, freudlose, stark introvertierte Grundstimmung beobachten, die nach der TCM auf die Störung des Lungen-Qi zurückzuführen ist.

Das Alter, in welchem die Wandlungsphase Metall mit ihrer Grundemotion der Trauer besonders im Vordergrund steht, ist das Pensionsalter oder – um das Ganze an der Biologie festzumachen und nicht an arbeitsrechtlichen Umständen – die Jahrzehnte nach den Wechseljahren. Nach den aktiven Jahren im Berufs- und Familienleben steht nun meist ein stärkerer Rückzug ins Private an, in chinesischen Begriffen: ein Wechsel vom Yang hin zum Yin.  Irgendwann in diesem Lebensabschnitt geht es darum, einen Schritt zurück zu tun und andere, jüngere machen zu lassen. Mit dem langsamen Nachlassen der eigenen Kräfte wird es wichtiger, die Aktivitäten auf das Wesentliche zu beschränken. Es braucht also eine größere innere Klarheit, das eigene Leben muss aufgeräumt und entrümpelt werden. Die Jahre der Wandlungsphase Metall bringen dabei nicht nur den Verlust von Lebenskraft und Freude, sondern auch den Gewinn einer größeren inneren Ruhe, Klarheit und Konzentration.

Und Weisheit, eine altmodische Tugend. Letztlich dienen die Jahrzehnte des Loslassens wohl auch als Vorbereitung für den Augenblick, in dem der letzte Atem verströmt und wir alles zurücklassen. Vielleicht sind uns vorher noch ein paar Greisenjahre vergönnt, in denen wir wieder werden dürfen wie ein neugeborenes Kind: irgendwie dumm, irgendwie weise und wohl nicht ganz von dieser Welt.

Nach dem Sommer beginnt mit dem Übergang zur Wandlungsphase Metall der Herbst, wie der Frühling gezeichnet von Dynamik und Wandel. Der Herbst war im antiken China die Zeit der Gerichte und der Hinrichtungen. So wie ein Laubbaum im Herbst alles Überflüssige fallen lässt und mit der Reduktion auf das allein Notwenige neue Struktur und Klarheit gewinnt, so sollte sich auch die Gesellschaft im Herbst von allem Unguten trennen und zu größerer Klarheit und Gerechtigkeit finden. Was wir im Herbst in der belebten Natur beobachten können, ist eine Verlagerung der Ressourcen von außen nach innen und ein Prozess der Verdichtung: die Pflanze sammelt ihre Kräfte im Stamm, in den Wurzeln oder in den Samen, die Tiere speichern Kraft in Fettpolstern oder Futterreserven und ziehen sich in ihre Höhle oder ihren Bau zurück.

In der Theorie der Traditionellen Chinesischen Medizin entspricht die Wandlungsphase Metall den Funktionskreisen Lunge und Dickdarm und der Emotion der Trauer. Wie andere der fünf Grundemotionen ist auch der Begriff „Trauer“ stark negativ belastet und nicht sehr hilfreich dabei, die positiven emotionalen Aspekte dieser Wandlungsphase zu begreifen. Die emotionale Kraft des Funktionskreises Lunge liegt darin, eine Grenze zu ziehen, zwischen dem, was mich ausmacht, und dem, was Beiwerk ist. Es geht darum, erstens Klarheit zu erlangen und zweitens zu verabschieden, was nicht mehr gebraucht wird, es loszulassen. Die emotionale Fähigkeit der Lunge hat mit Ordnung zu tun, mit Aufräumen und mit einer Reduktion auf das Wesentliche. Ein bisschen spiegeln auch die Funktionen von Lunge und Dickdarm diesen Zusammenhang wieder, denn wer sich mit dem Loslassen und dem Hergeben schwer tut, hat öfters auch Schwierigkeiten mit der Ausatmung oder einem regelmäßigen Stuhlgang. Schwierigkeiten mit dem Loslassen können sich im Leben auch darin zeigen, dass man länger an Dingen oder Menschen hängt und länger in Situationen und Beziehungen verbleibt, als es gesund und gut wäre.

Wenn wir uns vom positiven zum übermäßigen und krankmachenden Aspekt bewegen, so nähern wir uns der Trauer. Trauer empfinden wir, wenn wir etwas hergeben oder verlieren, was Teil unseres Lebens war, woran wir hängen oder was wir lieben. Trauer bedeutet, etwas loslassen zu müssen, und dieses Loslassen zieht auf schmerzhafte Weise eine Grenze zwischen dem, was uns verloren geht und dem, was bleibt: uns selbst.  Wird die Trauer zu heftig oder dauert sie zu lange an, so schadet sie dem Funktionskreis Lunge, stört und vernichtet dessen Qi. Die Dynamik der Trauer führt dabei nach innen und unten, sie lähmt die Kraft des Qi und lässt es geradezu versickern. Wie auch die Freude wirkt die Trauer dabei direkt auf das Qi des oberen Erwärmers (also des Bereichs oberhalb des Zwerchfells), Sitz der beiden von Trauer und Freude betroffenen Funktionskreise Lunge und Herz. Freude und Trauer sind dabei gewissermaßen Antagonisten: erstere befreit das Qi und bewegt es nach außen, letztere bindet es und lässt es nach innen versiegen.  

Die Dynamik der Trauer spiegelt sich in der Körperhaltung des Trauernden: die Schultern sinken und fallen nach vorne, der Brustkorb fällt ein, der Kopf sinkt. Schon alleine durch diese Haltung ergibt sich eine Schwächung des Lungen-Qi, die Atmung wird oberflächlicher, die Stimme schwächer und durch wiederholtes Seufzen versucht man die Beklemmung im Brustbereich zu überwinden. Dauert die Trauer über zu lange Zeit unverändert stark an, so ergibt sich daraus leicht eine anhaltende Schwächung des Funktionskreises Lunge mit einer Zunahme der Infektanfälligkeit, Erkrankungen wie Bronchitis, Lungenentzündung, Asthma oder anderen Atembeschwerden. Andererseits lässt sich bei Lungenkranken (wie auch bei Menschen mit einem schwachen Herz-Qi) besonders häufig eine melancholische, freudlose, stark introvertierte Grundstimmung beobachten, die nach der TCM auf die Störung des Lungen-Qi zurückzuführen ist.

Das Alter, in welchem die Wandlungsphase Metall mit ihrer Grundemotion der Trauer besonders im Vordergrund steht, ist das Pensionsalter oder – um das Ganze an der Biologie festzumachen und nicht an arbeitsrechtlichen Umständen – die Jahrzehnte nach den Wechseljahren. Nach den aktiven Jahren im Berufs- und Familienleben steht nun meist ein stärkerer Rückzug ins Private an, in chinesischen Begriffen: ein Wechsel vom Yang hin zum Yin.  Irgendwann in diesem Lebensabschnitt geht es darum, einen Schritt zurück zu tun und andere, jüngere machen zu lassen. Mit dem langsamen Nachlassen der eigenen Kräfte wird es wichtiger, die Aktivitäten auf das Wesentliche zu beschränken. Es braucht also eine größere innere Klarheit, das eigene Leben muss aufgeräumt und entrümpelt werden. Die Jahre der Wandlungsphase Metall bringen dabei nicht nur den Verlust von Lebenskraft und Freude, sondern auch den Gewinn einer größeren inneren Ruhe, Klarheit und Konzentration.

Und Weisheit, eine altmodische Tugend. Letztlich dienen die Jahrzehnte des Loslassens wohl auch als Vorbereitung für den Augenblick, in dem der letzte Atem verströmt und wir alles zurücklassen. Vielleicht sind uns vorher noch ein paar Greisenjahre vergönnt, in denen wir wieder werden dürfen wie ein neugeborenes Kind: irgendwie dumm, irgendwie weise und wohl nicht ganz von dieser Welt.

Andere Menschen sind aufgeregt,
als wären sie bei einer Parade.
Ich allein bleibe von allem unberührt,
ich allein bin ausdruckslos,
wie ein Kleinkind, das noch nicht lächeln kann.

Andere Menschen haben, was sie brauchen;
ich allein besitze nichts
und wandre ziellos umher
wie jemand, der kein Zuhause hat.
Ich bin ein Narr, mein Geist ist so leer.

Andere Menschen sind hell leuchtend;
ich allein bin dunkel verborgen.
Andere Menschen sind scharf, gescheit;
ich allein bin stumpf und dumm:
Andere Menschen verfolgen bewusst einen Zweck,
ich allein weiß von nichts.

Ich treibe wie eine Woge auf dem Ozean,
ich wehe so ziellos wie der Wind.

Ich unterscheide mich von normalen Menschen.
ich trinke aus den Brüsten der großen Mutter.

Daodejing 20, zitiert aus der schönen Übersetzung von Stephen Mitchell

Hier eine Übersicht über alle 5 Teile dieser Beitragsreihe
Teil 1 – Die Angst
Teil 2 – Die Wut
Teil 3 – Die Freude
Teil 4 – Das Denken
Teil 5 – Die Traurigkeit

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