Die Gerste

Die Gerste ist ein Sommergetreide: erfrischend, Durst stillend und leicht zu verdauen. Diese Einsicht der Chinesischen Ernährungslehre ist für eine Südtirolerin wie mich zunächst nicht so leicht nachvollziehbar, denn in unsere trocken-kalten Winter gehört unbedingt eine deftige und sämige Gerstensuppe. Dennoch, wirklich wertvoll wird die Gerste erst in der warmen Jahreszeit.

Wie alle Getreidesorten ist auch die Gerste ein sehr gutes Qi-Tonikum, das heißt sie gibt Kraft und eignet sich als Grundnahrungsmittel für den täglichen Gebrauch. Was sie darüber hinaus besonders wertvoll macht, ist ihre stärkende Wirkung auf die Funktionskreise Magen und Milz.

Was den Funktionskreis Magen betrifft, ist an der Gerste vor allem die kühlende und Säfte spendende Wirkung interessant. Der Magen „überhitzt“ sich relativ leicht, was in der Chinesischen Medizin entweder als ein Übermaß des Magen-Yang oder eine Schwäche des Magen-Yin beschrieben wird. Ersteres zeigt sich in einem Überschuss an Magensäure und Aktivität und an einer Tendenz zu entzündlichen Reaktionen, letzteres vor allem daran, dass die Schutzmechanismen der Magenschleimhaut versagen und diese von der Magensäure leichter angegriffen werden kann. In beiden Fällen ist die Gerste ein mildes Gegenmittel, das den Magen gleichzeitig beruhigen und befeuchten kann. Ideal ist in diesen Fällen natürlich eine sehr wässrige Zubereitung, also zum Beispiel eine Gemüsesuppe mit Gerste oder aber das Gerstenwasser (auch barley water), das in vielen Ländern fleißig getrunken wird.

Die kühlende und Säfte spendende Wirkung der Gerste richtet sich übrigens nicht nur auf den Magen, sondern auf den gesamten Organismus, weshalb das genannte Gerstenwasser möglichst mit etwas Zitronensaft versetzt ein sehr gutes Getränk für heiße Sommertage ist und auch als Mittel gegen Fieber und Hitzewallungen eingesetzt werden kann.

Was den Funktionskreis Milz betrifft, wirkt die Gerste vor allem als Qi-Tonikum. Sie hilft also bei Problemen, die mit einem Qi-Mangel der Milz zusammenhängen, ist allerdings durch ihre kühlenden Eigenschaften  nicht so geeignet bei einer „kalten“ Verdauung, also einer Yang-Schwäche. Besonders empfehlenswert ist die Gerste bei einer Schwäche des Bindegewebes, bei Übergewicht und einer Störung der Darmflora in Zusammenhang mit einem Milz-Qi-Mangel.

Eine sehr gute Lösung gibt es allerdings, was die Verwendung von Gerste in Zusammenhang mit Kälte betrifft, und sie stammt nicht umsonst vom Dach der Welt: das Tsampa. Diese geröstete und anschließend gemahlene Gerste aus Tibet ist ein fantastisches Qi-Tonikum, geeignet für alle Situationen, in denen es verlässlich Kraft und Ausdauer braucht, also zum Frühstück, vor dem Sport oder als Proviant auf einem Ausflug. Durch das Rösten ergibt sich eine neutrale bis leicht wärmende thermische Wirkung, die auch an kälteren Tagen und in kälteren Bäuchen eine wohltuende Wirkung entfaltet.

In der chinesischen Kräuterheilkunde spielt die Gerste in Form von getrockneten Keimen eine Rolle. Sie werden, wie übrigens auch Reiskeime, eingesetzt um Nahrungsstagnation zu beheben, also immer dann, wenn uns etwas im Magen liegen bleibt. Diese verdauungsfördernde Wirkung von Getreidekeimen hängt mit den Enzymen zusammen, die während des Keimens entstehen und hilft vor allem dann, wenn die Verdauung von Kohlenhydraten Probleme macht. Ein keimendes Korn verdaut sich nämlich auf gewisse Weise selbst: Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette, die im Korn enthalten sind, werden während des Keimens ganz wie während der Verdauung in einfachere, kleinere Moleküle umgewandelt. Außerdem setzt das Keimen besonders viele Vitamine, Mineralstoffe und wertvolle Pflanzenstoffe frei, weshalb der regelmäßige Verzehr von gekeimten Kernen und Samen einen schwer zu überschätzenden gesundheitlichen Vorteil mit sich bringt.

Wer selbst Gerste keimen lassen will, braucht keimfähige Gerste (also keine Perlgraupen). Diese lässt man eine Nacht lang in Wasser einweichen, gießt das Wasser ab und spült die Gerste für weitere 2-3 Tage zweimal täglich mit ausreichend frischem Wasser. Die Keime sollten ungefähr die Länge der Körner haben, dann können sie gegessen werden. Andernfalls kann die gekeimte Gerste in einem Dörrgerät oder im leicht geöffneten Backrohr bei 40°C getrocknet werden, an einem warmen Sommertag genügt auch die Zimmertemperatur. Die getrockneten Gerstenkeime können zum Beispiel in Suppen verwendet oder zu Mehl verarbeitet werden. Eine Abkochung dieser Gerstenkeime kann auch kleinen Kindern gut gegeben werden, die auf Grund ihrer physiologischen Verdauungsschwäche besonders häufig unter Nahrungsstagnation leiden.

Wer es hingegen gerne grün hat, säht die Gerste in eine gute Pflanzenerde und wartet auf das Gerstengras, welches als Saft oder Pulver verwendet werden kann. Gerstengras besitzt zwar im Vergleich zum Weizengras etwas weniger wertvolle Inhaltstoffe (in der chinesischen Ernährungslehre spricht man dem Weizengras deshalb eine noch größere Yin- und Blut-nährende Wirkung zu), dafür kühlt und befeuchtet es aber auch nicht so stark. Die Palette an Vitalstoffen, welche im Gerstengras enthalten sind ist umwerfend. Besonders für Menschen mit Nährstoffmangel, also nach der Diktion der TCM einem Yin- und Blut-Mangel, profitieren von diesem wunderbaren Nahrungsergänzungsmittel, das sehr einfach selbst herzustellen ist.

Die Gerste ist ein „Austauscher“, das heißt sie leitet zum einen pathologische Substanzen aus, welche sich im Körper als Schlacken ansammeln und nährt zum anderen die gesunden und frischen Körpersäfte. Die Gerste leitet Schlacken (in der TCM „Feuchtigkeit“ genannt) sowohl über den Urin als auch über den Stuhl aus, und vermehrt gleichzeitig Säfte, Yin und natürlich das Qi. Diese zweifache und ausgeglichene Wirkung hat die Gerste unter anderem mit anderen Getreidesorten wie dem Amaranth und der Hirse und mit Hülsenfrüchten wie der Linse, der Erbse oder der Azukibohne gemeinsam. Solche „Austauscher“ sind deshalb besonders wertvoll, weil sie nicht wie die meist stark diuretisch wirkenden Nahrungsmittel und Kräuter, die in den klassischen Entschlackungskuren eingesetzt werden, zu Trockenheit und Nährstoffmangel führen können. Der tägliche Gebrauch dieser „Austauscher“ ist deshalb eine besonders milde und ungefährliche Art zu entschlacken, die sozusagen ganz nebenbei auch noch viele wertvolle Nährstoffe liefert. Ein Beispiel ist das Gerstenbrot, welches sich einen guten Ruf als Regulator der Blutfettwerte erworben hat. Frag deinen Bäcker danach oder back es dir gleich selber.

Rezepte:

Tsampabällchen

100 g Tsampa
4-5 Datteln
1 Hand voll Rosinen
1 EL Zitronensaft
1 große Nuss Butter
1 EL Honig
100 g Pinoli und Kürbiskerne
ca. 1/2  Tasse warmer Schwarztee oder Rooibostee
½ TL Zimt
1 Prise Salz

Datteln und Rosinen klein hacken, mit Tsampa, dem Honig und allen anderen trockenen Zutaten vermischen. Das Butterstück auf die Mischung legen und heißen Tee darüber gießen. Nachdem die Butter geschmolzen ist, alles miteinander verrühren und so lange Tee zugeben, bis die Konsistenz stimmt und man Kugeln formen kann.

Es gibt herrliches Tsampa in den Bioläden, aber der Preis ist nicht ohne. Um Tsampa selbst zu machen, verteile ein Kilo Gerste auf einem Ofenblech (die Schicht sollte nicht höher sein als 1 cm) und lass sie 90 Minuten bei ca. 100°C im Rohr. Die Temperatur kann auch leicht darüber liegen, aber die Gerste soll auf alle Fälle keine Farbe annehmen, nur zu duften beginnen. Wenn die Gerste Lass die Gerste auskühlen und mahle sie in einem Getreidemühle zu Mehl. Fertig.

Gerstenwasser
100 g Gerste in 2 Litern Wasser einige Stunden weichen lassen, dann im selben Wasser 1-2 Stunden leicht köcheln lassen (die Gerste sollte ganz weich gekocht sein). Für den Geschmack können Gewürze wie Ingwer, Nelken, Zimt oder Zitrusschalen mitgekocht werden, ebenso Trockenobst wie Feigen oder Rosinen und das fertige Gerstenwasser kann mit Zitronen- oder Orangensaft vermischt und nach Geschmack gesüßt werden.

Gerstensalat

150 g Perlgerste
1 Hand voll gekochte grüne Strauchbohnen
200 g Cocktailtomaten
1 Karotte
schwarze Oliven
100 g Feta
Basilikum
Kurkuma
Koriander
4 EL Olivenöl, Salz
1 EL Zitronensaft

Die Gerste nach Packungsanweisung einweichen und im Einweichwasser mit ¼ TL Kurkuma und etwas Salz kochen (es braucht ca. 30-50 Minuten, aber es gibt große Unterschiede). Inzwischen die gekochten Bohnen in Stücke schneiden. Die Tomaten zerkleinern und auch die Karotten sehr fein schneiden. Die Karotte mit etwas Salz, Öl und Korianderpulver vermischen und rasten lassen. Sobald die Gerste weich ist, alle Zutaten miteinander vermischen und mit der Marinade aus Salz, Öl und Zitronensaft abschmecken. Vor dem Essen etwas ruhen lassen.

4 Kommentare zu „Die Gerste“

  1. Danke für deine tollen Artikel! 🙂 Ich lese gerne auf deiner Seite und habe auch deine Bücher! 🙂 Danke dass du dein Wissen mit uns teilst! 🙂 Liebe Grüße!

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