Die Tomate

Die Tomate ist ein Nachtschattengewächs wie Kartoffel, Aubergine und Paprika. Viele Nachschattengewächse sind giftig und auch einige Pflanzenteile der Tomate sind es, aber nicht die Tomate selbst. Allerdings enthalten viele Früchte der Nachtschattengewächse Alkaloide, so die Tomate Solanin, ein Alkaloid, das auch in der Kartoffel enthalten ist. Besonders viel Solanin ist in grünen, unreifen Tomaten enthalten, ebenso wie in grünen Stellen und Trieben von Kartoffeln. Selbstverständlich sollte man all dies vermeiden und darauf achten, nicht zu viel Solanin mit der Nahrung aufzunehmen. Doch gibt es neben den Vergiftungserscheinungen, die bei großen Mengen von Solanin auftreten, auch andere Bedenken. Die Früchte der Nachtschattengewächse stehen im Verdacht, durch die in ihnen enthaltenen Alkaloide entzündliche Prozesse zum Beispiel im Rahmen von rheumatoider Arthritis zu verschlimmern. Dieser Zusammenhang wird in der TCM-Ernährung nicht thematisiert. Im Gegenteil gelten Tomaten und Auberginen hier sogar als Hitze ausleitende NM, also wenigstens von der Richtung her auch entzündungshemmend. Trotzdem kann man Menschen, die unter Arthritis leiden, wohl raten, sich über diese Zusammenhänge ein eigenes Urteil zu bilden und eventuell einen Selbsttest mit der empfohlenen dreimonatigen Karenzzeit durchzuführen, um festzustellen, ob und welche Nachtschattengewächse ihre Gesundheit negativ beeinflussen.

Kommen wir nun dazu, wie die Tomate in der TCM betrachtet wird. Sie ist in der chinesischen Ernährungslehre mit ihren Tausenden von Jahren Erfahrung ein relativer Neuzugang. In Europa seit dem 16. Jahrhundert bekannt, wurde sie zwar bald danach auch nach China gebracht, dort aber lange nur von Ausländern angebaut und verzehrt. Breite Verwendung fand die Tomate in China erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Tomate ist nach der Beschreibung der TCM ein Gemüse mit einer relativ starken und einseitigen Wirkung. Besonders auffallend ist ihre thermische Wirkung, die als erfrischend bis kalt oder „fast kalt“ bezeichnet werden kann. Die Tomate richtet diese stark kühlende Wirkung auf den gesamten Organismus, vor allem aber auf die beiden Funktionskreise Magen und Leber, die beide sehr häufig von Hitze oder Feuer betroffen sind. Bei einer Leber-Hitze ist die Tomate in allen Fällen ein häufig eingesetztes Mittel oft in Kombination mit Stangensellerie, so zum Beispiel bei Kopfschmerzen, Bluthochdruck oder geröteten, brennenden Augen, den häufigsten Symptomen dieses Musters. Schwieriger ist es mit der Tomate bei einer Magen-Hitze. Ein „heißer“ Magen ist meist übersäuert und/oder entzündet und reagiert dann sehr empfindlich auf saure Nahrungsmittel. Die Tomate kühlt zwar, ist aber auch säuerlich und wird deshalb trotz der kühlenden Wirkung von einem „heißen“ Magen oft nicht gut vertragen. Dasselbe Dilemma haben wir übrigens bei der Zitrone.

Neben Leber und Magen ist ein drittes Ziel für die kühlende Wirkung der Tomate das Blut, nämlich bei dem Muster, das meist Blut-Hitze genannt wird und in den allermeisten Fällen von einer Hitze in der Leber ausgeht. Gelangt die Hitze ins Blut, so kann es sowohl zu Blutungen kommen als auch zu Hautausschlägen. Die Tomate verwendet man vor allem bei ersteren, zum Beispiel bei Nasenbluten oder Zahnfleischbluten, allerdings nur, wenn sie wirklich durch Hitze verursacht werden. Natürlich kann mit der Tomate auch ganz allgemein gekühlt werden, so zum Beispiel bei äußerer Hitze im Sommer oder bei fiebrigen Erkrankungen.

Es gibt nicht allzu viele Nahrungsmittel mit einer so stark kühlenden Wirkung wie die Tomate. Daraus ergeben sich auch die wichtigsten Kontraindikationen für dieses Gemüse und die sind ganz eindeutig Kälte und Yang-Mangel. Wer friert, der sollte keine Tomaten essen, schon gar nicht roh. In der TCM wird auch darauf hingewiesen, dass  zu viele Tomaten über eine längere Zeit hin selbst ein anfänglich starkes Yang schwächen können, weshalb nicht regelmäßig mehr als ein bis zwei dieser Früchte pro Tag gegessen werden sollten. Dazu muss in Zeiten von Gewächshäusern allerdings auch gesagt werden, dass damit sonnengereifte, süße Tomaten gemeint sind, die zwar kühlen, aber lange nicht so stark wie unreif geerntete, erst gar nicht richtig reif gewordene Tomaten. Frische Tomaten gehören deshalb unbedingt im Sommer auf den Speiseplan, während man sich den Rest des Jahres über notfalls mit guten Konserven trösten sollte.

Die Tomate kann allerdings noch mehr als kühlen: sie gehört zu den Nahrungsmitteln, die das Yin nähren, und dabei hat sie unter den Gemüsen nicht gerade viel Gesellschaft, denn für diese Gruppe von Nahrungsmitteln ist das Nähren von Yin alles andere als typisch. Die Tomate nährt das Yin der beiden Funktionskreise Magen und Leber, die sie beide auch kühlt. Die kühlende Wirkung hat sicherlich auch einen Anteil am Nähren des Yin, denn Hitze ist der Feind Nummer eins des Yin und ein Hitze-Muster führt praktisch immer früher oder später zu einer Verletzung des Yin.

Gibt es, wie so oft, eine Entwicklung von akuter Hitze hin zu chronischem Yin-Mangel, so kann man ein Nahrungsmittel wie die Tomate an jedem beliebigen Punkt dieser Entwicklung einsetzen, ohne sich allzu viele Gedanken machen zu müssen: sie ist sowohl gegen Hitze als auch bei Yin-Mangel nützlich. Was sich bei diesen beiden Mustern unterscheidet, sind die Arten der Zubereitung. Bei Hitze werden wir die Tomate wie bereits angedeutet lieber roh belassen, damit nichts von der kühlenden Wirkung verloren geht. Ausgezeichnet eignet sich dann ein Salat oder ein Saft aus Tomaten und anderen kühlenden Obst- oder Gemüsesorten, wie zum Beispiel Wassermelone oder Sellerie. Geht es hingegen darum, das Yin aufzubauen, so sollte die Tomate öfter gekocht werden, weil dann die enthaltenen Nährstoffe besser aufgenommen werden können. Wir können die Tomate dann zum Beispiel als Sugo mit Olivenöl servieren oder als Tomatensuppe mit Ricotta-Nocken, beides sehr stark nährende Kombinationen.

Zuletzt noch zu einer weiteren Wirkung der Tomate, der sie wahrscheinlich ihre große Beliebtheit verdankt. Die Tomate „öffnet“ den Magen und verbessert den Appetit. Vielleicht hat dies unter anderem damit zu tun, dass die reife Tomate als eines der wenigen Gemüse größere Mengen an Glutamat enthält, natürlichen Geschmacksverstärkern. Damit weist sie die Geschmacksrichtung umami auf, die meist als „herzhaft“ übersetzt wird und im Übrigen mehr in tierischen Nahrungsmitteln und Würzmitteln wie Sojasoße oder Brühen vorkommt. Allerdings unterstützt die Tomate die Verdauung auch anderweitig, denn in der TCM wird ihr zugeschrieben, dass sie Nahrungsstagnation löst, wenn diese durch schwer verdauliche kohlenhydrathaltige Speisen entsteht. Es ist also doch kein Wunder, dass man in Italien nichts lieber über einen Teller Spaghetti kippt, als süße, sonnengereifte Tomaten.

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