Die Linse

Du kennst sicher die Frage von der einsamen Insel und den drei Dingen, die man dorthin mitnehmen kann. Ich denke, eines davon könnte für mich eine Linse sein. Ich würde sie pflanzen und nie mehr Hunger haben. Nach der knallharten Entscheidung über die drei Dinge stünde dann allerdings gleich eine weitere Entscheidung an: welche Sorte? Allein in Indien gibt es 50 verschiedene Sorten von Linsen, weltweit sind es über 70. Rustikale Tellerlinsen, kleine dunkle Belugalinsen mit Biss, cremig zerkochende rote Linsen oder die delikaten kleinen Ufos aus Castelluccio. In der chinesischen Küche spielen Linsen übrigens kaum eine Rolle, ein Beweis dafür, dass auch die Chinesen beim Essen nicht alles richtig machen.

Allen Linsensorten ist eines gemeinsam: es sind kleine Kraftpakete, vollgepackt mit wertvollen Nährstoffen. In der chinesischen Medizin werden sie als Qi- und Blut-Tonika beschrieben, was bedeutet, dass sie sowohl Kraft geben als auch Saft, Energie und Substanz. Das können zwar auch andere Hülsenfrüchte und Getreide, doch was die Linse auszeichnet ist, dass sie leichter zu verdauen ist und ihre Nährstoffe deshalb besser und vollständiger aufgenommen werden können. Linsen sind also immer dann gut, wenn es durch Qi- und Blut-Mangel zu Schwäche, Blässe oder Schwindel kommt. Dass die Linse das Qi stärkt, spiegelt sich aus chemischer Sicht in ihrem relativ hohen Gehalt an Kohlenhydraten wider (rund 40%). Allerdings handelt es sich zu einem guten Teil um komplexe Kohlenhydrate, die sehr langsam aufgenommen werden, weshalb die Linse eine relativ niedrige Glykämische Last mitbringt und sich auch für Diabetiker eignet.

Besonders ausgeprägt ist bei der Linse sicher die Fähigkeit, Blut zu nähren. Dies macht sie immer dann zu einem wertvollen Nahrungsmittel, wenn besonders viel Blut benötigt wird: in der Schwangerschaft, bei Sportlern und bei Vegetariern, letztere beide vor allem dann, wenn es sich auch noch um Frauen im fruchtbaren Alter handelt. Besonders oft kann man Linsen während des Stillens essen, denn sie gelten in der TCM als eines der Nahrungsmittel, die die Milchmenge vermehren, was ebenfalls über eine Blut nährende Wirkung zustande kommt.

Zwei weitere Eigenschaften machen die Blut nährende Wirkung der Linse besonders wertvoll. Zum einen kann sie das Blut über das Nähren hinaus auch bewegen, löst also Blut-Stagnationen. Die Linse hat demnach alles, was Frauen brauchen. Die bewegende Wirkung der Linse ist nicht sehr stark (zum Glück, sonst wäre der Verzehr während der Schwangerschaft problematisch) und hat wohl mehr damit zu tun, dass das Blut vor allem dann stagniert, wenn ein Mangel herrscht. Schon allein das Vermehren des Blutes führt also zu einer stärkeren Dynamisierung. Eine zweite wertvolle Eigenschaft unterscheidet die Linse von vielen anderen Blut nährenden Nahrungsmitteln und Heilkräutern: sie kann zwar leichte Trockenheit beseitigen (so bei trockenem Stuhl und Verstopfung), gleichzeitig aber ist sie weder schwer zu verdauen, noch führt sie zu Feuchtigkeit im Funktionskreis Milz. Dies vor allem darum, weil sie – wie alle Hülsenfrüchte – auch eine harntreibende, diuretische Wirkung hat. In dieser Eigenschaft ähnelt die Linse der Adzukibohne und wie bei letzterer kann die ausleitende Wirkung so stark sein, dass die Linse bei eindeutiger Trockenheit sogar mit anderen, schwereren und stärker befeuchtenden Nahrungsmitteln kombiniert werden sollte.

Die bisher besprochenen Eigenschaften machen aus der Linse ein wertvolles Grundnahrungsmittel, in der chinesischen Ernährungslehre aber wird sie darüber hinaus durch einen Zusatz geadelt, den nur wenige Nahrungsmittel und Heilkräuter verdienen: die Linse gilt als besonders reich an Essenz und im Stande, die nachgeburtliche Essenz zu stärken. Sie hat demnach einen Bezug zum Funktionskreis Niere und stützt dessen grundlegendste Ressource, im Chinesischen jing genannt. Dank dieser Eigenschaft wird die Linse auch empfohlen, um die Resilienz gegen Stress zu verbessern, bei Überarbeitung, Burnout oder auch schlicht um weniger schnell zu altern. Da die Essenz in Nahrungsmitteln auch mit der Fruchtbarkeit zusammenhängt, ist es sicherlich keine schlechte Idee, die Linsen vor dem Verzehr keimen zu lassen, um diesen Aspekt und den Nährwert insgesamt noch zu steigern. Linsen keimen sehr schnell und problemlos und die Keime können sogar roh gegessen werden im Unterschied zu ungekeimten Linsen, die immer erst gekocht werden müssen.

Rezepte:

Linsenkeime

Keimfähige (ungeschälte) Linsen eine Nacht in ausreichend Wasser einweichen. Am Morgen das Wasser abgießen und die Linsen spülen. Alles Wasser abtropfen lassen und die Linsen an einen nicht zu warmen Ort stellen. Abends nochmals spülen und abtropfen lassen, am nächsten und maximal übernächstenTag jeweils zweimal wiederholen. Wenn die Sprossen so lange sind, wie die Linsen selbst, können sie geerntet werden. Schmecken sehr gut kurz in der Pfanne gebraten und mit mediterranen Kräutern oder Curry gewürzt.

Linsensalat

Es gibt unendliche Variationen, eine besser als die andere. Es braucht Linsen, die bei Kochen nicht aufbrechen, ich koche sie sehr gerne mit einem Lorbeerblatt und/oder einem kleinen Stück Alge. Das Salz sollte (wie bei allen Hülsenfrüchten) immer erst nach dem Kochen zu den Linsen kommen. Die gekochten Linsen mit kaltem Wasser abschrecken, mit den anderen Zutaten vermischen und mit Olivenöl, Salz und Balsamicoessig anrichten. Zum Beispiel mit Granatapfelkernen, Orangenstücken, Radicchio und rosa Pfeffer. Oder mit gekochten Kartoffeln, schwarzen Oliven, Cocktailtomaten, Parmesanwürfeln und frischer Minze.

Masoor Dal mit Kürbis

200 g geschälte rote Linsen, gewaschen
1 kleine Zwiebel
200 g Kürbis in 2 cm große Stücke geschnitten
1 Tomate oder 3-4 Coctailtomaten (ansonsten etwas Zitronensaft, für die Säure)
1 EL geriebener frischer Ingwer
1 TL Kurkuma
1 TL Kreuzkümmel, ganz
¼ TL Chili
Ghee
1-2 TL Garam Masala
Wasser und Salz

Die gewaschenen Linsen in 600 ml Wasser 15 Minuten lang kochen. Den Kreuzkümmel in etwas Ghee oder Öl anrösten bis er knackt, dann die klein geschnittene Zwiebel dazu geben und leicht goldbraun werden lassen. Den Ingwer und die anderen Gewürze dazu geben und salzen. Kurz wärmen, dann die gewürfelten Tomaten 5 Minuten mitbraten und schließlich den Kürbis. Die Linsen samt dem Kochwasser dazu schütten und weiter kochen, bis der Kürbis weich und die Linsen cremig sind. Nach Geschmack mit Kokosmilch verfeinern und mit Salz und Garam Masala abschmecken.

Dazu: Roti

300 g volles Dinkelmehl (am besten frisch gemahlen)
180 g Kokosraspeln
½ – 1 EL Kokosfett
½ TL Salz
Die Zutaten mit so viel warmem Wasser verkneten, dass eine weiche, kompakte und knetbare Masse entsteht. 1 Stunde ruhen lassen, dann kleine flache Leibchen formen (ca. 3-5mm hoch) und diese in einer Antihaftpfanne oder mit etwas Ghee oder Öl nicht zu heiß braten, bis sie leicht bräunen. Nach Geschmack kann auch mit Chili mit in den Teig.

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